Sylvia Schenk im Porträt
„Wir sind Organ der Rechtspflege, das ist auch eine gesellschaftliche Verpflichtung.“
Sylvia Schenk, Consultant/Rechtsanwältin bei Herbert Smith Freehills, über die Politik als Instrument, um für die nachfolgenden Generationen zu kämpfen und die Synergieeffekte von Ehrenamt und Beruf.
Frau Schenk, Sie waren Olympiateilnehmerin im 800m-Lauf, Ihnen wurde das Bundesverdienstkreuz verliehen und Sie haben juristisch Karriere gemacht – was bedeutet Erfolg für Sie?
Sport, Ehrung, Beruf – das sind ja so ganz unterschiedliche Sachen.
Erfolg ist, wenn ich etwas hinkriege, wenn ich was gestalten kann. Meine Hauptmotivation in vielen Situationen war, etwas zu ändern, das ich als ungerecht empfand. Erfolg ist für mich, wenn ich in der Sache etwas erreiche. Das ist viel wichtiger, als sich etwas anheften zu können, sei es das Bundesverdienstkreuz oder ein Titel.
Als Sie sich mit zwei Prädikatsexamen 1978 auf Ihre erste Stelle als Anwältin beworben haben, wurden Sie mit der Begründung abgelehnt, dass Sie als Frau in absehbarer Zeit Ihren Mutterpflichten nachgehen müssten und damit nicht als Partner in Frage kämen. Wie sind Sie mit dieser Diskriminierung umgegangen?
Ich habe erstmal gelacht. Ich war insofern nicht persönlich betroffen, als ich wusste, dass ich mir mit meinen Prädikatsexamina eine Stelle aussuchen kann. Der zweite Impuls war Wut, weil ich mir vorstellte, was das für andere bedeutet, die diese Auswahl nicht haben. Ich habe mir gedacht, ich habe zwei Möglichkeiten: Die individuelle Lösung wäre gewesen, ich zeig es diesem Anwalt und kämpfe mich in einer anderen Kanzlei hoch. Damit lass ich mich aber auch auf die Diskriminierung ein, indem ich sie versuche zu widerlegen. Oder ich wende mich gegen diese Art der Diskriminierung, indem ich politisch dagegen arbeite. Mir war klar, das darf meiner Tochter, die es noch nicht gab, d.h. also der nächsten Generation, nicht passieren. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, mich als Richterin zu bewerben, um inhaltlich und finanziell unabhängig zu sein für politisches Engagement.
Sie wurden dann Richterin am Arbeitsgericht, um Zeit für Ihr politisches Engagement zu haben. Warum ist für Sie die Politik der richtige Weg, um für Gleichberechtigung zu kämpfen?
Ich war damals schon als Sportfunktionärin tätig und habe mich auch mit dem Thema Frauen beschäftigt. Da ging es noch darum, ob Frauen beispielsweise Fußball spielen, Marathon laufen oder Stabhochsprung machen dürfen. Ich hatte bei dem Engagement im Sport gemerkt, dass man dort zwar etwas bewegen kann, dies aber flankiert werden muss durch direkte politische Initiativen. Ich war Ende 1977 in die SPD eingetreten und wollte mich auch dort für die Themen Frauen und Sport einsetzen.
Wie haben Sie es geschafft, neben der Vollzeitstelle als Richterin sich politisch so intensiv zu engagieren?
Als Richterin hat man ja erstmal keine festen Arbeitszeiten und kann sich alles selbst einteilen. Ich bin bewusst Arbeitsrichterin geworden, um Vorsitzende zu sein. Ich habe die Unabhängigkeit gesucht. Und als Leistungssportlerin hatte ich schon gelernt, meinen Tag wirklich optimal zu gestalten. Die erste Zeit habe ich mich dann sehr reingekniet, um mir alles zu erarbeiten. Nach ca. zwei Jahren war ich an dem Punkt, wo ich mit 20-25 Wochenstunden „netto“ meine Arbeit gemacht habe. Ich habe wirklich hoch konzentriert gearbeitet. Nach zwei Stunden, in denen ich drei Urteile diktiert habe, ging nichts mehr. Dann bin ich nach Hause geradelt, bin zehn Kilometer Laufen gegangen und anschließend war ich fit für das Ehrenamt. So intensiv kann man auch nicht zehn Stunden am Stück arbeiten.
Das war eine Frage der Organisation, sich selber zu strukturieren und möglichst effektiv zu arbeiten. Und ich hatte eine hohe Motivation. Wenn ich etwas will, dann bekomme ich alles unter.
Frau Schenk, Sie waren 12 Jahre als Stadträtin für verschiedene Dezernate zuständig (u.a. Recht, Sport und Frauen). Wie sahen Ihre Aufgaben aus?
Sehr vielfältig, was sehr spannend war.
Wir waren 1989 die ersten Frauen im hauptamtlichen Magistrat, das Sportdezernat war eine besondere Männerdomäne, und ich war im siebten Monat schwanger, als ich zur Stadträtin gewählt wurde. Das war für einige eine Provokation. Da ich aus dem Sport kam, sowohl als Leistungssportlerin als auch aus dem Ehrenamt, konnte aber niemand sagen, ich hätte keine Ahnung. Das war ein großer Vorteil.
Zu den Aufgaben gehört die politische Leitung der verschiedenen Dezernatsbereiche, die Entwicklung von Strategien und die Personalverantwortung. In den 12 Jahren habe ich u.a. Teile der Sportförderung umstrukturiert, wir hatten Wassernotstand, so dass die Kunstrasen-Plätze nicht gewässert werden durften und die Freibäder ein Thema waren, ich habe die Ausschreibung für das WM Stadion 2006 verantwortet und hatte die Zuständigkeit für das Standesamt. Als Standesbeamtin habe ich sowohl Joschka Fischer als auch den jetzigen Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann getraut. Vor dem juristischen Hintergrund hier noch zu dem Rechtsdezernat: das hat viel Spaß gebracht, weil man einen guten Einblick in alle Bereiche der Kommunalpolitik und -verwaltung bekommt.
Was hat Ihnen bei Ihrer Tätigkeit als Kommunalpolitikerin am besten gefallen?
Die Vielfalt und dass ich mich immer wieder in neue Sachen einarbeiten konnte.
Sie waren Präsidentin beim Bund Deutscher Radfahrer. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees hatte eine Art Frauenquote in den internationalen Verbänden durchgesetzt, weshalb sie gleich in das Führungsgremium des Radsportweltverbandes berufen wurden. Damit galten Sie als „Quotenfrau“. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie darin?
Ich sage das eher spöttisch, dass ich „Quotenfrau“ war. Ich hatte den Hintergrund, war breit aufgestellt im Sport, hatte viel Erfahrung und sprach Englisch und Französisch. Mich hat es daher nicht gestört, wenn ich so bezeichnet wurde, weil ich alles für das Amt Erforderliche mitbrachte. Dann war nicht entscheidend, ob ich durch eine Quote reinkomme oder nicht.
Ich war schon Klassensprecherin in der Schule. Ich hab mich immer irgendwie irgendwo eingebracht und engagiert mit dem Impetus, was zu ändern und mitzureden. Das sind erstmal Ehrenämter, man wird nicht direkt hauptberuflich Politikerin.
Später war es immer toll, neben dem Beruf ein weiteres Standbein zu haben. Und gerade beim Ehrenamt im Sport hat man mit so vielen Menschen zu tun, die ganz unterschiedliche persönliche Hintergründe und berufliche Erfahrungen haben.
Ich habe wechselseitig immer sehr profitiert von den unterschiedlichen Bereichen. Ich habe durch die Arbeit im Hochschulsportverband viel über die politische Arbeit und – ganz praktisch – den Umgang mit dem Diktiergerät gelernt. Das konnte ich für das Arbeitsgericht nutzen. Im Arbeitsgericht habe ich gelernt, wie man Vergleiche angeht, gegensätzliche Interessen anspricht. Das half mir für die Verhandlungsführung auf großen Konferenzen. Ehrenamt und Beruf haben sich immer gegenseitig befruchtet – eine win-win-win-Situation.
Bis Anfang 2021 haben Sie die Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International Deutschland e.V. geleitet. Wie können wir uns die Arbeit von Transparency International vorstellen?
Der Ursprungsansatz bei der Gründung 1993 war es, Korruption überhaupt zum Thema zu machen. Damals war nur die Bestechung von Amtsträgern im Inland strafbar, Bestechung ausländischer Beamter, Minister usw. durch deutsche Unternehmen dagegen von der Steuer absetzbar – als „nützliche Aufwendungen“. So haben die westlichen Länder und auch Deutschland die Korruption quasi exportiert. Das war bis einschließlich 1996 möglich, seit 1998 ist Auslandsbestechung strafbar. Denn wenn wir die Korruption weltweit nicht in den Griff bekommen, scheitern wir international mit vielen Themen. Korruption ist häufig Ursache für Probleme auf internationaler Ebene – von Umweltschäden bei illegaler Giftmüll-Lagerung über Terrorfinanzierung. Transparency International hat dafür das Bewusstsein geschaffen, legt den Finger in die Wunde, dokumentiert Skandale und entwickelt Präventionsinstrumente.
In Deutschland sind wir dabei in Regionalgruppen und thematische Arbeitsgruppen unterteilt. Beim Aufbau der Arbeitsgruppe Sport gab es keine festen Vorgaben. So konnte ich die Themen für die Korruptionsbekämpfung im Wesentlichen mitgestalten und die Herangehensweise definieren. Spätestens mit dem Fifa Skandal 2010 musste ich auch nicht mehr für das Thema werben, sondern umgekehrt schauen, welche Anfragen dazu ich noch realisieren konnte.
Ob als aktive Sportlerin oder im Ehrenamt, Sie verfolgen seit Jahrzehnten einen strengen Anti-Doping-Kurs. Damit machen Sie sich in der immer noch sehr Männer dominierten Sportwelt häufig keine Freunde. Wie sind Sie Ihrer Linie hier immer treu geblieben?
Anti-Doping war und ist nicht das einzige Thema, mit dem ich angeeckt bin. Als ich in den 70er und 80er Jahren der Meinung war, Frauen müssen auch Stabhochsprung und Hammerwurf machen dürfen, kam als Argument meist „Wollen Sie denn, dass Frauen auch boxen?“.
Für mich war es immer wichtig, meine Linie zu halten. Ich habe lieber Nachteile in Kauf genommen, als mich selber zu verraten. Und das hat sich auch bewährt, als ich als Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer zurückgetreten bin, weil verdächtige Blutwerte verschwiegen wurden. Ich hätte ja mit drin gesteckt und mich erpressbar gemacht, hätte ich nicht zu meiner Linie gestanden.
Was hätten Sie mit Anfang 30 gerne gewusst, was Sie heute wissen?
Hätte ich 1982 gewusst, dass 2012 Frauenboxen olympisch wird, dann hätte ich mit jenem Sportfunktionär um eine Million gewettet, der meinte „Sie sind ja verrückt, das dürfen Frauen nicht!“ – aber das hat mir damals schon nichts genutzt, dass ich diese Dinge hab kommen sehen. Alles braucht seine Zeit. Menschen brauchen ihre Zeit und ich habe auch meine Zeit gebraucht, um dahin zu kommen, wo ich heute bin.
Welchen Rat würden Sie jungen Jurist*innen mit auf den Weg geben?
Ich rate, das auszunutzen, was einem das juristische Studium, ein beruflicher Wechsel oder ein Ehrenamt an Möglichkeiten geben, in ganz viele Bereiche hineinzuschauen.
Gerade jetzt und in den kommenden zwei bis drei Jahren werden Weichen gestellt werden, wir leben in einer absoluten Umbruchszeit. Wer da nur auf seine individuelle Karriere und das Geld schaut, darf sich nicht wundern, wenn die Welt in zehn Jahren ganz anders aussieht, als man sich das wünschen würde.
Stellt euch vielfältig auf. Schaut euch verschiedene Bereiche an, nicht nur nach dem, was karriereförderlich erscheint. Manchmal interessiert man sich für ein Thema, kniet sich rein und zwei Jahre später zahlt es sich aus: Obwohl es erstmal gar nicht danach aussah, ist es plötzlich genau das Mosaiksteinchen, das man braucht, um eine große Chance zu ergreifen. Man sollte nicht nur danach gehen, was heute nutzt, sondern fragen: Was macht mir Spaß, was interessiert mich und was kann ich auch für andere und für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft tun?
Wir sind ein Organ der Rechtspflege, das ist eine gesellschaftliche Verpflichtung. Also: Welche Welt möchte ich meinen Kindern / Enkel*innen mitgeben?
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Ein Vorbild war für mich immer schwierig, jede hat andere Vorstellungen. Und für meinen persönlichen Weg gab es keine weiblichen Vorbilder; ich war an ganz vielen Stellen die erste Frau, die einzige Frau.
Frauen, die für ihre Sache kämpfen und nicht nur für die eigene Karriere, die andere mitnehmen und Türen öffnen, finde ich vorbildlich. Elisabeth Selbert hat das beispielhaft vorgelebt.
Vielen Dank für das spannende Interview und die Zeit, die Sie Sich dafür genommen haben!
Frankfurt am Main, 14. Januar 2021. Das Interview führte Angela Zinn.
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