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Uta Fölster

Uta Fölster im Porträt

„Frauen sollten sich selbst gegenüber eine größere Fehlertoleranz haben.“

Uta Fölster, Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen OLG, im Interview über das hautnahe Erleben von Geschichte nach dem Mauerfall in der Berliner Justiz, die Notwendigkeit von Enttäuschungsfestigkeit und ihre Zusammenarbeit mit Jutta Limbach.

Liebe Frau Fölster, Sie sind seit über zehn Jahren Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes in Schleswig. Hätten Sie zu Beginn Ihrer juristischen Laufbahn gedacht, dass Sie einmal eine solche Position bekleiden?

Im Leben nicht! Ich war seinerzeit, das war 1983, froh, dass ich eine Stelle in Berlin bekommen hatte, zunächst als Staatsanwältin, dann als Richterin. Die juristische Ausbildung ist so furchtbar lang, zunächst das Studium und dann das Referendariat. Danach war ich einfach erleichtert, es geschafft zu haben. An eine Beförderung oder ähnliches, geschweige denn an eine Präsidentinnenstelle, habe ich damals auf keinen Fall gedacht.

Ihr Weg ist von vielen Stationen geprägt – ganz gleich ob Staatsanwältin, Richterin, Pressesprecherin der Berliner Justiz sowie des Bundesverfassungsgerichtes oder Geschäftsführerin des Deutschen Richterbundes und der Bundesrechtsanwaltskammer. Was gefällt Ihnen so gut an der Richterinnenrolle?

Ich habe eine frühe Erfahrung in der Referendarzeit gemacht, die mich sehr geprägt hat. Am Amtsgericht Kiel war ich einer Richterin zugeordnet, die ich im Gegensatz zu mir damals als dienstältere, erfahrene Frau bezeichnen würde. Sie hatte zum einen die Gabe, eine sehr freundliche, angenehme Atmosphäre im Gerichtssaal zu schaffen. Zum anderen war sie eine sehr kluge Frau und sehr gute Juristin, die die Fälle juristisch sauber löste und die Parteien oftmals zu einem Vergleich bewegen konnte - eine Art der Streitbeilegung, die die Menschen eher dauerhaft befriedet als es ein Urteil vermag. Und wenn etwa juristischer Vortrag eines Rechtsanwalts, einer Rechtsanwältin sie überzeugte, so konnte sie aufrichtig und überzeugt Lob erteilen. Gleichzeitig hatte sie dabei etwas Verschmitztes, sodass es niemals wie eine Lobüberhäufung wirkte. Diese Art meiner Ausbilderin hat die Richterinnenrolle für mich so faszinierend gemacht.

Sie waren Sprecherin der Berliner Justiz nach der Wende, eine sicherlich sehr herausfordernde Aufgabe. Wie sind Sie mit aufkommenden Schwierigkeiten umgegangen und was haben Sie rückblickend daraus gelernt?

Vielleicht war es gut, dass ich keine Zeit hatte, mir etwaige Probleme und Schwierigkeiten auszumalen. Sie kamen nämlich sofort und vollkommen unangekündigt - mein 1. Arbeitstag war einfach schrecklich! Erich Honecker, gegen den es einen Haftbefehl wegen der Todesschüsse an der Mauer gab, verschwand an diesem Tag völlig überraschend nach Moskau. Ich wurde von diesem Geschehen geradezu überrollt, die ganze Welt wollte von mir wissen, wie das denn geschehen konnte und was das denn nun juristisch für Konsequenzen hätte. Da es jedenfalls damals in der Justiz nicht üblich war, auf die Tätigkeit als Pressesprecherin vorbereitet zu werden, landete ich ohne Vorwarnung im eiskalten Wasser und habe seinerzeit bei den Journalist*innen wohl eher zur Verwirrung beigetragen, denn mit sachgerechten Informationen gedient.

Was mir geholfen hat? Wahrscheinlich meine - vermutlich auch mal naiv anmutende - Bereitschaft, ehrlich zuzugeben, wenn ich etwas (noch) nicht weiß oder kann. Meine Erfahrung ist: Kein Mensch kann sofort alles und jeder und jede kocht mit Wasser. Auch im Umgang mit Journalist*innen stieß Aufrichtigkeit auf Verständnis, jedenfalls dann, wenn man sein Versprechen hielt, die Sache zu klären und schnellstmöglich die (richtige) Antwort zu liefern. So wurde ich als Pressesprecherin zu einer beständigen und verlässlichen Ansprechpartnerin und die Zusammenarbeit mit der Presse hat, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, gut funktioniert. Nicht nur die Journalist*innen entwickelten zu mir Vertrauen, es hat sich so auch mein Grundvertrauen gefestigt, dass sich alles lösen lassen wird.

In der Zeit habe ich auch gelernt, dass an dem Spruch "Bange machen gilt nicht" etwas dran ist. Allerdings nur dann, wenn man selbst sein Bestes gibt und hart arbeitet, auch in Situationen, in denen man zunächst einmal nicht weiterweiß. Kleinmütig sein hingegen und sich in ein Mauseloch verkriechen, ist in solchen Situationen sicher die ganz falsche Strategie. Und wenn das eigene Empfinden dennoch ab und an von Unsicherheit geprägt ist, so sollte man das tunlich für sich behalten und im Wege der Kompetenzsimulation überspielen. Und ich habe auch gelernt, dass Fehler bei allem Bemühen unvermeidbar sind und in aller Regel nicht unbedingt die Welt in ihren Grundfesten erschüttern. Zugeben und korrigieren ist dann das Mittel der Wahl.

Dazu eine Anekdote: ich war in meiner Tätigkeit als Pressesprecherin der Berliner Justiz auch für die Berliner Verwaltungsgerichte zuständig. Und es gab da einen Tag, an dem ich zu einer bestimmten Entscheidung des Verwaltungsgerichts viele Radiointerviews geben musste, die live übertragen wurden. Irgendwann, nach dem vierten oder fünften Interview, rief der Präsident des Verwaltungsgerichts an und fragte mich, was für einen Blödsinn ich da eigentlich im Radio erzählen würde. Mir war bis dahin wirklich nicht klar, dass ich die Entscheidung wohl jedenfalls in einem Punkt gründlich missverstanden hatte. Der nicht unbedingt amüsierte Präsident klärte mich auf und fortan erzählte ich - jedenfalls zunächst sicher souverän wirkend - in nachfolgenden Interviews das Gegenteil von dem, was ich zuvor der Welt verkündet hatte. Leider fragte man mich dann aber doch, ob ich zuvor in anderen Gesprächen nicht anderes erzählt hätte - das musste ich natürlich einräumen und erklären. Mir ist die Geschichte deshalb noch so gegenwärtig, weil mir die Situation beides abverlangte: Kompetenzsimulation und Fehleroffenheit.

Wie darf man sich Ihren Alltag als Pressesprecherin vorstellen?

Ich war wie gesagt Anfang der 90er Jahre für die gesamte Berliner Justiz zuständig und eigentlich immer am Telefonieren - das war damals noch das vorherrschende Kommunikationsmittel - und Fragen beantworten (meinem Gefühl nach, waren das etwa drei Millionen Telefonate am Tag). Zu wichtigen Entscheidungen gab es natürlich auch schriftliche Pressemitteilungen. Mit der Wende kam dann eine weitere Riesenaufgabe auf die Berliner Justiz zu, nämlich das gesamte "DDR-Unrecht" juristisch aufzuarbeiten. Das Ganze neben den Dingen, die tagtäglich in Berlin passierten. Es gab viele vollkommen neue Fragen. Wie etwa sollte man mit den Vorschriften des DDR-Rechts umgehen - konnte entsprechendes Recht etwa die Tötungen an der Grenze rechtfertigen? Im Ergebnis haben alle Gerichtsinstanzen, einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, die Frage verneint.   Insgesamt hatte ich das große Glück, ein einmaliges historisches Ereignis hautnah miterleben zu dürfen - dafür enorm viel arbeiten zu müssen, habe ich gern in Kauf genommen.

Während Ihrer Laufbahn haben Sie einige Male unter der Führung von Frauen gearbeitet, darunter Jutta Limbach und Lore Maria Peschel-Gutzeit. Gibt es für Sie einen weiblichen Führungsstil? Wenn ja, welche Eigenschaften zeichnen diesen aus?

Beide Frauen waren bzw. sind einfach große Klasse - sie sind meine weiblichen Vorbilder neben meiner Mutter, die mir als Bäuerin und Mutter von vier Kindern Emanzipation vorgelebt hat, ohne dass ich den Begriff kannte. Zurück zu Limbach und - wie ihr Name liebevoll abgekürzt wird - "LPG": Ich bin froh, dass ich für meine beiden Lehrmeisterinnen habe arbeiten dürfen. Die meisten Jahre, in Berlin und später beim Bundesverfassungsgericht, habe ich mit der 2016 verstorbenen Frau Limbach verbracht. Sie war nicht nur klug und gebildet, sie hatte auch eine ungemein liebenswürdige, heitere und unverstellt freundliche Art mit Menschen umzugehen - ganz egal, ob der Mensch Verfassungsrichter oder Pförtner war. Gleichzeitig war sie sich ihrer jeweiligen macht- und verantwortungsvollen Position sehr bewusst, scheute nicht das offene Wort und ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Das gilt auch für "LPG" - eine zudem ungemein witzige und schlagfertige Frau. Was beide als weibliche Führungskräfte auszeichnete, war die souveräne Haltung, es für möglich zu halten, dass (Zitat Limbach) "sich die Vernunft auch mal auf der anderen Seite befindet". Ich kenne auch viele richtig gute männliche Führungskräfte, aber die Bereitschaft, "lernend zuzuhören", eine selbstkritische Betrachtung als Zeichen von Souveränität zu begreifen, und ein achtungsvoller, höflicher Umgangston, das bestimmt nach meiner Erfahrung eher den weiblichen Führungsstil. Ich finde es immer noch amüsant, in "gemischten" Besprechungsrunden zu erleben, dass Männer ihr Grundbedürfnis nach Selbstdarstellung zu zügeln bemüht sind und sich einem insgesamt freundlicheren Umgangston unterwerfen.

Welche Eigenschaften zeichnen eine gute Richterin bzw. einen guten Richter Ihrer Auffassung nach aus? Inwiefern spielt Menschlichkeit hier eine Rolle?

Als Richter*in sollte man ein Verständnis dafür entwickeln, was bspw. im Zivilprozess die Parteien eigentlich wollen. Häufig geht es über den Inhalt ihrer Klage hinaus um vergangene Geschehnisse/Streitigkeiten. Etwa wenn Nachbarn sich vor Gericht um eine vermeintlich unzureichend geschnittene Hecke streiten. Im Strafprozess gehört es auch dazu, die Beweggründe für die Straftat zu begreifen. Das bedeutet nicht, die Straftat zu bagatellisieren, sondern die Erwägungen für eine schuldangemessene Strafe heraus zu filtern. In jedem Fall bedarf es also geduldigen Zuhörens, was manchmal ganz schön die eigenen Nerven strapaziert und die eigene Geduld auf die Probe stellt.

Auch die Mitmenschlichkeit spielt eine große Rolle. Im Gerichtsalltag sollte man natürlich das juristische Handwerkszeug beherrschen, aber auch im Kopf behalten, dass die Menschen vor Gericht diese Position in der Regel nicht freiwillig und nicht mit Freuden einnehmen.

Welche Ereignisse in Ihrem Leben haben dazu geführt, dass Sie sich des Themas der Frauenförderung angenommen haben? Inwiefern engagieren Sie sich in diesem Bereich?

Ehrlich gesagt, hat es eine Weile gedauert, bis ich überhaupt gemerkt habe, dass das ein Thema für mich ist. Ich bin von einer emanzipierten Mutter erzogen worden, habe ein reines Mädchengymnasium besucht und hatte während des Studiums und des Referendariats tatsächlich keine Nachteile wegen meines Geschlechtes. Auch in der beruflichen Anfangszeit änderte sich daran nichts Grundlegendes. Ein wenig begann ich dann aber von dem Problem zu ahnen, als man mich mit dem Begriff "Quotenfrau" bedachte. Das fand ich zunächst höchst ärgerlich, blieb aber trotzdem recht entspannt. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass sowohl Jutta Limbach als auch LPG mir rechtzeitig klargemacht hatten, dass - recht verstanden - der Titel "Quotenfrau" eigentlich keine Diskriminierung bedeutet, sondern viel mehr ein Kompliment ist. Ich fand sie hatten recht, denn es kann einen doch freuen, wenn man bescheinigt bekommt, genauso qualifiziert zu sein wie der tolle, aber unterlegene männliche Mitbewerber. Wir Frauen sollten endlich damit aufhören, die Bezeichnung "Quotenfrau" im Sinne der absichtsvollen Stigmatisierung anzunehmen, sondern das Kompliment huldvoll und dankbar als berechtigt entgegennehmen.

 

Meine beiden Vorbilder haben mich grundlegend für dieses Thema sensibilisiert. Denn sie gehörten zu der Generation Frau, die die großen Kämpfe für die Gleichberechtigung der Frau ausgetragen haben. Die Übernahme des Gattennamens, der Stichentscheid beim Sorgerecht für die Kinder oder auch die Bestimmung des Wohnorts - bei all diesen Sachverhalten hatten schließlich bis vor gar nicht so vielen Jahren die Männer die alleinige Entscheidungsmacht. Höchst eigentümlich, wenn man sich vor Augen führt, dass Frauen - auch damals - 50 Prozent der Menschheit ausmachen und gleichzeitig die Mütter der anderen 50 Prozent sind. Gibt es eine stärkere Legitimation, in jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens teilzuhaben? Frühere Frauengenerationen haben also mit viel Kampfgeist Positionen erobert, die es zu bewahren gilt.

Es beunruhigt mich ein wenig, dass nach meinem Eindruck heute einige der jungen Frauen offenbar zu den drei K's - Kinder, Küche, Kirche - zurückkehren möchten. Das ist, wenn es denn eine autonome Entscheidung ist, zu akzeptieren, schließlich gibt es kaum etwas Wichtigeres als Kindererziehung. Mit welcher Selbstverständlichkeit sich allerdings gut ausgebildete Frauen in diese Rolle begeben, ist schon bemerkenswert. Dass etwa auch Väter Elternzeit in Anspruch nehmen können, scheint nicht als ernsthafte Alternative erwogen zu werde.

Und auch der weibliche berufliche Ehrgeiz steht hinter dem männlichen zurück. Etwas zugespitzt ausgedrückt: Geht es um Beförderungen, fragen Männer in sicherer Überzeugung ihres Könnens "Wo bitte ist das zweite Klavier?". Frauen reagieren eher kleinmütig, sie bezweifeln der neuen Aufgabe gewachsen zu sein und möchten eigentlich nicht heraus aus der vertrauten beruflichen Komfortzone.

Haben Sie während Ihrer beruflichen Laufbahn einen Ratschlag erhalten, der Sie maßgeblich beeinflusst hat? Welchen Rat würden Sie Ihrem jüngeren Ich heutzutage geben?

 

Der Ratschlag wäre "Bange machen gilt nicht!" Und bedeutet für mich, dass jede Situation, in der etwas schiefläuft, diese als Training zur Stärkung der Enttäuschungsfestigkeit hinzunehmen - eine Festigkeit, die ich häufig bei Männern feststelle und für die ich sie bewundere.

Jüngeren Frauen und auch meinem jüngeren Ich würde ich wahrscheinlich raten: Trauen Sie sich! Fehler machen wir alle sowieso, das sollte frau einfach akzeptieren. Frauen stehen sich mit ihrem ausgeprägten Perfektionsdrang häufig selbst im Weg. Angesagt ist, wie viele Studien über das Verhalten von Männern und Frauen in Konkurrenzsituationen belegen, das Streben nach größerer Fehlertoleranz. Dann stellt sich auch die notwendige Enttäuschungsfestigkeit ein.

Sie haben einmal in einem Porträt gesagt, dass Sie in der Vergangenheit die „Würdigung Ihrer Fähigkeiten eingefordert“ haben. Welche Wirkung hat dieses Verhalten bei Ihrem Umfeld erzeugt? War dies ein entscheidender Punkt für den Verlauf Ihrer Karriere?

Das war für mich eher nachteilig und ich kann von Glück sagen, dass ich mit Fragen wie "Meinen Sie wirklich, dass ich das kann?" mir wohl gesonnene Menschen genervt habe. Sie haben mir geduldig die banale Einsicht vermittelt, dass sie mich ja sonst wohl kaum gefragt hätten, ob ich an einer neuen Aufgabe interessiert sei. Auch insoweit gilt: mehr Selbstbewusstsein bitte! Frauen sind heutzutage in vielen Bereichen nachweisbar genauso gut, wenn nicht besser qualifiziert als Männer. Es gibt also keinen Grund für Zweifel und Verzagtheit

In der Justiz wird Ihnen die Rolle einer „weiblichen Pionierin“ zugeschrieben - eine ehrende Bezeichnung, die viele Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Was verstehen Sie darunter?

Die Zuschreibung ist für mich Quatsch. Ich bin jetzt 64 Jahre alt. Meine Vorgängergeneration und die Generation davor haben die großen Kämpfe austragen müssen und dafür sehr wohl die Vorreiterrolle verdient. Ich sage das übrigens aus voller Überzeugung und nicht, weil Frauen keine Komplimente annehmen können (lacht). Jutta Limbach und Lore Maria Peschel-Gutzeit sind Pionierinnen für mich, insbesondere wegen der Bemühungen zur Reform des Familienrechts in den 50er Jahren. Unter anderem von diesen Verdiensten habe ich profitiert, aber nicht an ihnen mitgewirkt.

Wie bewahren Sie in herausfordernden Situationen Ruhe und Kraft?

Ich habe das Glück, dass ich von Natur aus relativ ausgeglichen bin. Wichtig finde ich daneben, dass man sein Lebensglück nicht nur auf eine Säule stützt, z.B. nur auf den beruflichen Erfolg. So hilfreich ein eindeutiger Fokus sein mag, zum Leben gehört doch immer mehr dazu: Sei es die eigene Familie, der Freundeskreis oder ein mit Leidenschaft ausgeübtes Hobby. Wenn es in einem Bereich mal nicht so gut läuft, dann zieht man aus den anderen Bereichen Kraft.

Welche Ihrer Eigenschaften hat Ihnen am meisten zu Ihrem Erfolg verholfen?

Die typische Frauenantwort hierauf wäre: "Das weiß ich nicht, das müssen Sie andere fragen!". (lacht) Tatsächlich finde ich die Frage schwierig, will aber eine Antwort versuchen:  Neben meinen fachlichen Qualifikationen war zunächst sicherlich auch mein Umfeld, waren also meine Eltern und meine Familie ausschlaggebend. Ich habe von zu Hause eine grundpositive Haltung gegenüber Mitmenschen vermittelt bekommen und viel Vertrauen in eigenes Können. Auch wenn ich nicht im Rheinland aufgewachsen bin, sondern in Norddeutschland, so habe ich mich doch zu einer Frohnatur entwickelt und liebe feinsinnigen Humor, Ironie und fröhliches Lachen. All dies hat mich über die Jahre dazu gebracht, klar zwischen sachlicher, durchaus auch 'mal berechtigter Kritik und grundloser Nörgelei trennen zu können. Das tut gut, weil man sich nicht ständig in Frage stellt und nicht eine Unsicherheit ausstrahlt, für die es gar keinen Anlass gibt. Und es macht mir manchmal auch wirklich Spaß, mich für ersichtlich nur der Höflichkeit geschuldeten Komplimente ernsthaft zu bedanken und insgeheim zu denken: er/sie meint die Nettigkeit zwar gar nicht so, aber eigentlich habe ich sie verdient.

Sie erzählten, dass Ihre Zeit nach der Tätigkeit als Pressesprecherin beim Bundesverfassungsgericht beruflich wie auch privat schwierig war. In dieser Phase hatten Sie ein Vorstellungsgespräch beim ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau für die Stelle als Pressesprecherin, haben aber eine Absage erhalten. Wie sind mit der Situation umgegangen?

Ich war ziemlich enttäuscht, an mir nagten Selbstzweifel und auch Selbstmitleid stellte sich ein - hier wieder das Stichwort: mangelnde Enttäuschungsfestigkeit. Bei Licht betrachtet, war das eine überzogene Reaktion, schließlich kamen berufliche Misserfolge auch bei anderen vor, und ich befand mich in der äußerst komfortablen Situation, jederzeit in die Berliner Justiz zurück kehren zu können. Das habe ich nach ein paar Umwegen über die Bundesrechtsanwaltskammer und den Deutschen Richterbund ja auch gemacht.

Ich habe mich seinerzeit dann aber nach klarer Ansage einer Freundin auch wieder zusammengerissen und hatte die Kraft und die Möglichkeit aus diesem Tief wieder herauszukommen. Mein Umfeld hat mir natürlich auch gut zugeredet. Das war eine gute Hilfe.

Sie sind die erste Juristin in Ihrer Familie und haben es direkt in eine so prominente Position geschafft. Wie haben Sie Ihrer Familie die Besonderheiten der juristischen Welt näher gebracht?

Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich das wirklich geschafft habe. Vielleicht in Ansätzen, weil ich mich immer - gegenüber meiner Familie und auch in anderen Kreisen - bemüht habe, zu erklären, wie gut wir es haben, in einem demokratischen Rechtsstaat leben zu dürfen, der seinesgleichen auf der Welt sucht. Unser Recht ist niedergeschrieben, die Richter*innen sind an dieses Recht gebunden und gerichtliche Entscheidungen sind jedenfalls im Grundsatz vorhersehbar. Das Problem, das wir haben, ist, dass wir uns nur schwer verständlich machen können und viele der irrigen Annahme unterliegen, nach Lektüre eines Zeitungszweispalters ließe sich problemlos das einzig richtige Urteil fällen. Das ist Unsinn, weil sich ein gerichtliches Verfahren, das viele Aktenbände füllt und vieler Verhandlungstage bedarf, nicht im Ansatz in einer solchen Kürze darstellen lässt. Kritik an justiziellen Entscheidungen müssen wir aushalten, zumal sie manchmal auch berechtigt ist. Aber eine gewisse Bereitschaft, sich intellektuell ein wenig anzustrengen und verstehen zu wollen, welchen Gesetzmäßigkeiten Rechtsprechung unterliegt, das erwarte ich schon.

 

 

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Jutta Limbach! Da kann ich mich jetzt nur wiederholen: Neben der Tatsache, dass sie eine tolle Juristin und Vorkämpferin in Sachen Gleichberechtigung war, habe ich an ihr die Mischung aus Liebenswürdigkeit, Durchsetzungsstärke, Zugewandtheit, Hartnäckigkeit und dass sie so lebenspraktisch war, bewundert. Im Umgang mit anderen Menschen war sie allen, aber wirklich gegenüber allen, so freundlich und zugewandt, dass man sie einfach von Herzen gern haben musste. Selbst ihre Kritiker hatten Mühe, sich diesem Bann zu entziehen. Sie war es, die als Präsidentin das Bundesverfassungsgericht als Bürgergericht geprägt hat - durch Tage der offenen Tür, eine aktive Pressearbeit und viel mehr mündliche Verhandlungen. Das durchzusetzen war wahrlich nicht einfach! Und hätte sie nicht schon in den Jahren zuvor als Justizsenatorin in Berlin die rechtlichen Probleme der  Wiedervereinigung in ihrer klugen und empathischen Wiese so erfolgreich gemeistert, so wäre sie wohl kaum an das Bundesverfassungsgericht gekommen.

Herzlichen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben und das spannende Gespräch! 

 

Schleswig / Frankfurt, 8. Oktober 2019. Das Interview führte Karen Kelat. Herzlicher Dank geht an Anna Sophie Eckers für die Unterstützung bei der Erstellung des Fragenkataloges.

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