Wida Babakarkhel-Zeifri, LL.M. im Porträt
„Diese mutigen Frauen riskieren ihr Leben.“
Wida Babakarkhel-Zeifri, LL.M., Regierungsrätin und Referentin der Niedersächsischen Landesregierung, über Frauen in Afghanistan, Studium und Karriere als multikulturelle Juristin in Deutschland und die Tätigkeit als Juristin in der Verwaltung.
Sie sind mit sechs Monaten mit Ihren Eltern aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, das bringt besondere Herausforderungen mit sich. Was hätten Sie sich in Hinblick auf diese Herausforderungen während des Studiums gewünscht?
Die Einwanderungsgeschichte meiner Eltern führte dazu, dass ich mit zwei Kulturen und Sprachen aufgewachsen bin. Unsere Verwandtschaft floh größtenteils aus Afghanistan in alle Teile der Welt und somit hatte ich während der Schulzeit und auch während des Studiums keine Rolemodels aus der Familie oder dem Bekanntenkreis, mit denen ich mich hier in Deutschland identifizieren konnte. Denn der Teil unserer Familie, der nach Deutschland flüchtete, kam etwa zeitgleich mit meinen Eltern oder nach uns nach Deutschland und hatte mit den gleichen Problemen, die eine Flucht aus der Heimat mich sich bringt, zu kämpfen. Während des Studiums war ich somit so ziemlich auf mich alleine gestellt und hatte keine Möglichkeit, mich mit Juraabsolvent:innen oder Berufseinsteiger:innen auszutauschen. Deswegen freue ich mich umso mehr, dass diese Lücke u.a. mit sich nun gegründeten Netzwerken wie den Afro-Deutschen Jurist:innen oder dem Netzwerk multikultureller Jurist:nnen – dem ich seit der Gründungsphase und aktuell als Co-Vorsitzende angehöre – geschlossen werden konnte.
Nach dem Studium haben Sie einen LL.M. in Frankfurt am Main im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht gemacht. Warum haben Sie sich für dieses Studium entschieden?
Nach dem ersten Staatsexamen hatte ich den Gedanken zu promovieren, allerdings konnte ich mir zu dem damaligen Zeitpunkt nicht vorstellen, einen ungewiss langen Zeitraum an einer Promotion zu arbeiten. Zudem konnte ich mich nicht auf ein Thema festlegen. Ich spielte sodann mit dem Gedanken einen LL.M.-Aufbaustudiengang zu absolvieren und plante diesen im Ausland. Ich entschied mich allerdings aufgrund meiner ersten Schwangerschaft für ein LL.M.-Studium in räumlicher Nähe, da dies dann auch mit dem Referendariat und meinen Lebensumständen besser vereinbar war. Es war somit für mich ein Kompromiss den LL.M.Eur. in Deutschland abzulegen.
Fachlich habe ich mich für europarechtliche und wirtschaftliche Zusammenhänge interessiert und wollte hier vertiefte Kenntnisse erwerben, sodass der LL.M.Eur.-Studiengang im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. die ideale Lösung darstellte.
Das LL.M. Studium haben Sie während des ersten Jahres Ihres Referendariats absolviert, in welchem Sie auch schwanger waren. Wie haben Sie diese drei Herausforderungen vereinbaren können?
Tatsächlich waren die damaligen Umstände sehr herausfordernd. Allerdings war und bin schon immer ein Mensch, der Herausforderungen nicht scheut, sondern erst recht davon angezogen wird, sonst hätte ich mich wahrscheinlich auch nicht für das Jurastudium entschieden, denn mir wurde von allen Ecken wegen der immensen Stofffülle und des Schwierigkeitsgrades davon abgeraten, Jura zu studieren.
Insgesamt hatte ich jedoch eine vergleichsweise komplikationslose Schwangerschaft, sodass ich die Magisterarbeit einen Tag vor Beginn des offiziellen vorgeburtlichen Mutterschutzes fertigstellen konnte. Zudem gab es in diesem LL.M.Eur.-Studiengang die Möglichkeit, sich Scheine aus dem Studium anerkennen zu lassen. Vor diesem Hintergrund konnte ich die tatsächlich zu erbringenden Leistungsnachweise von der Anzahl her noch reduzieren. Wichtig waren in diesem Jahr jedoch ein gutes Zeitmanagement, Durchhaltevermögen und auch eine gute Schwerpunktsetzung. Ich habe mir daher feste Tage für meinen LL.M.Eur.-Studiengang eingeplant und feste Tage, die dem Rechtsreferendariat und den Leistungsnachweisen gewidmet waren.
Für Ihr zweites Staatsexamen haben Sie mit einem Kleinkind gelernt. Welche Tipps haben Sie für junge Mütter, die sich auf das zweite Examen vorbereiten?
Selbstverständlich sind das Rechtsreferendariat und die Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen an sich bereits unfassbar herausfordernd. Kommt dann noch eine Mehrfachbelastung dazu, braucht es ein unglaublich gutes Zeitmanagement und ein sicheres Betreuungsnetzwerk. Zudem dürfen wir Mütter wie auch Väter nicht unterschätzen. Ich finde, dass die Geburt eines Kindes bei vielen Eltern zu einem effektiveren Zeitmanagement führt. Die angesetzten Lernzeiten habe ich automatisch ohne Trödelphasen genutzt und wusste genau, dass ich lediglich während der Betreuungszeiten lernen kann. Mein Ehemann und ich hatten und haben aber auch bis heute ein unglaublich tolles Netzwerk mit unseren Familien, die uns seit jeher immer bei der Kinderbetreuung unterstützt haben, wenn dies erforderlich war oder ist. Mein größter Tipp jedoch lautet: An sich selbst zu glauben und die Herausforderungen im eigenen Tempo meistern. Es gibt für Eltern inzwischen auch in einigen Bundesländern die Möglichkeit, das Rechtsreferendariat in Teilzeit zu absolvieren. Diese Entwicklung kann ich nur begrüßen.
Nach dem zweiten Examen haben Sie in einer kleinen Kanzlei als Anwältin angefangen. Warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?
Nach dem Rechtsreferendariat war ich mir zunächst unsicher, welchen Berufsweg ich einschlagen will. Ich konnte mir nicht vorstellen direkt in die Justiz oder Staatsanwaltschaft einzusteigen, hatte aber auch keine konkreten Präferenzen im Hinblick auf ein bestimmtes Rechtsgebiet. Mir fehlte auch der Austausch oder die Möglichkeit, sich ein Bild von den verschiedenen juristischen Berufsbildern zu machen. Daher bewarb ich mich nach dem zweiten Staatsexamen kreuz und quer auf sehr unterschiedliche Stellen. Meine Entscheidung fiel dann auf die Kanzlei am Hagenmarkt in Peine, weil es hier die Möglichkeit gab, in kurzer Zeit verschiedene Rechtsgebiete kennenzulernen und direkt von A bis Z Mandate in vielen Rechtsgebieten und unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten bearbeiten zu können. So hatte ich schon in meiner ersten Woche nach der Zulassung meine ersten Gerichtstermine und meine „eigenen Mandate“. Dies war rückblickend auch die richtige Entscheidung. Meine beiden Kollegen Herr Buchholz und Herr Römgens waren zugleich meine Mentoren. Wir haben uns regelmäßig ausgetauscht und die beiden erzählten mir viele Anekdoten aus ihren jahrzehntelangen Erfahrungen als Rechtsanwälte. Ich habe in meiner Zeit als Rechtsanwältin insgesamt viel für meinen weiteren Berufsweg, aber auch für mich persönlich mitnehmen können.
Ihnen wurde in der Kanzlei die Partnerschaft in Aussicht gestellt, trotzdem haben Sie sich entschieden in die Verwaltung zu wechseln. Wie kam es dazu?
Auch wenn mir die Arbeit als Anwältin viel Freude bereitet hat und ich ein sehr kollegiales Umfeld hatte, sehnte ich mich nach meiner zweiten Elternzeit nach neuen beruflichen Herausforderungen. Ich wollte „über den Tellerrand schauen“, neue juristische Zweige kennenlernen und hatte mich mit einer Freundin unterhalten, die ebenfalls in der Verwaltung als Juristin tätig ist. Durch sie bekam ich neue Eindrücke von der Verwaltung und öffnete mich für den Gedanken, als Beamtin tätig zu werden, was ich mir zuvor nicht vorstellen konnte. Das Traineeprogramm für Führungskräfte im Niedersächsischen Innenministerium war für mich die ideale Möglichkeit, die Verwaltung kennenzulernen.
Können Sie uns von diesem Programm erzählen?
Es handelt sich um ein dreijähriges Traineeprogramm für Volljurist:innen, die als Regierungsrätin bzw. Regierungsrat ernannt werden und sodann in verschiedenen Dienststellen der Landesverwaltung tätig sind. Aufgabenschwerpunkte sind u.a. Fragestellungen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen; die Vorbereitung, Begleitung und Umsetzung politischer Entscheidungen; die konzeptionelle Arbeit und strategische Planung sowie die Erarbeitung von Gesetzesvorhaben und Verordnungen.
Es werden diverse Fortbildungsveranstaltungen angeboten, wobei langfristig vielfältige Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten in der Niedersächsischen Landesverwaltung gegeben sind, die perspektivisch betrachtet häufig mit einem hohen Maß an Führungsverantwortung verbunden sind. Die Einstellung erfolgt grundsätzlich zunächst im Beamtenverhältnis auf Probe, wobei bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen nach ein bis drei Jahren eine Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgen kann. Als Qualifikation muss die Befähigung zum Richteramt gegeben sein sowie überdurchschnittliche juristische Kenntnisse (im ersten und zweiten Staatsexamen wird mindestens die Note „befriedigend“ vorausgesetzt). Die Auswahl unter den für eine Einstellung in die engere Wahl genommenen Jurist:innen erfolgt über ein zweistufiges Assessment-Center in Hannover.
Ich war in meinem ersten Jahr im Niedersächsischen Ministerium für Europarecht und Regionale Entwicklung als Referentin im Referat für Europarecht tätig und war im zweiten Jahr bis zu meiner aktuellen Elternzeit im Ministerium für Inneres und Sport und hier zunächst im Qualitäts- und Beschwerdemanagement und sodann im Referat für Beamtenrecht tätig. Ich widmete mich in der Stabsstelle und im Referat der Aufgabe, die Umsetzung einer EU-Richtlinie in Niedersachsen vorzubereiten. Insgesamt berücksichtigt das Ministerium für Inneres und Sport in Niedersachsen die Bedürfnisse von Familien und achtet auf eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, u.a. durch flexible Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten.
In Ihrem Studium gehörten Sie noch zu einer größeren Gruppe von multikulturellen Juristinnen, in der Verwaltung sind Sie nun eine von wenigen. Wie kommt es zu dieser Situation?
Das ist tatsächlich eine Frage, die ich mir selbst auch häufig gestellt habe. Ich kann hier nur für mich sprechen und feststellen, dass ich den Weg in die Verwaltung nach den beiden Staatsexamina auch nicht als Berufsbild vor Augen hatte, sondern eher die klassischen Berufsbilder wie Staatsanwältin, Richterin, Rechtsanwältin. Dabei gibt es so viele mögliche Wege, die man nach dem zweiten juristischen Staatsexamen einschlagen kann, sei es in Unternehmen, in Behörden, an Universitäten u.v.m. Wenn ich in meinem multikulturellen juristischen Umfeld von meiner Tätigkeit in der Verwaltung sprach, war das auch für einige eher Neuland. Spreche ich hingegen mit Kolleg: innen aus der Verwaltung, so stelle ich fest, dass diese häufig über Verwandte oder Bekannte bereits Berührungspunkte mit der Verwaltung als Arbeitgeberin hatten. Aber tatsächlich werden die Gründe noch vielfältiger sein, so wie wir Menschen auch.
Sie haben in einer Prüfungssituation Diskriminierungserfahrungen aufgrund Ihres Geschlechts und Ihres multikulturellen Hintergrunds gemacht. Was würden Sie einer Juristin in der Ausbildung sagen wollen, die gerade so etwas erlebt hat?
Es gibt hier nicht DIE richtige Antwort und ebenso wenig völlig falsche Reaktionen auf eine Diskriminierungserfahrung. Wir Menschen reagieren unterschiedlich – abhängig von der Persönlichkeit, der Vorgeschichte, der konkreten Situation, den anderen Beteiligten und den vermuteten Konsequenzen. Es ist zwar nicht leicht, Diskriminierung zu thematisieren und zu widersprechen, aber sie hinzunehmen hat oftmals auch andere Folgen. Ich persönlich würde einer betroffenen Juristin raten, sich vor Augen zu führen, dass Diskriminierung gegen die Würde des Menschen und gegen das fundamentale Recht auf Gleichbehandlung verstößt. Schafft man es nicht allein sich zu wehren, so gibt es eine Vielzahl von Beratungsstellen, die unterstützen können. Inzwischen gibt es z.B. den weltweit ersten Antidiskriminierungs-Chatbot yana-bot. Mit Yana wurde eine digitale Lösung entwickelt, die rund um die Uhr für Betroffene online zugänglich ist. Nach einem Erstkontakt bietet der yana-bot verschiedene Optionen an. Das kann etwa ein Hinweis auf eine rechtliche Beratung, Beratungsstellen oder therapeutische Hilfe sein.
Sie haben selbst afghanische Wurzeln und aktuell noch Kontakt zu Organisationen vor Ort. Wie ist die Situation aktuell für Frauen vor Ort?
Die Situation für Frauen und Mädchen hat sich in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 massiv verschlechtert. In nur wenigen Monaten höhlten die Taliban die Rechte auf Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen aus. Zwischenzeitlich wurden zahlreiche Verbote erlassen, die Frauen und Mädchen daran hindern, ihre grundlegenden Rechte auf Meinungsäußerung, Freiheit, Arbeit und Bildung wahrzunehmen. Seit der im Dezember 2021 erlassenen „Mahrahm-Regelung“ können sich Frauen in der Öffentlichkeit Afghanistans nicht mehr ohne Begleitung eines ihnen nahestehenden Mannes bewegen. Mittlerweile ist der Zugang zu Sporteinrichtungen, Parks und Cafés verboten worden. Seit März 2022 dürfen Mädchen ab der siebten Klasse nicht mehr die Schule besuchen. Mutige Afghaninnen, die hiergegen friedlich protestieren, riskieren, bedroht, verhaftet und gefoltert zu werden. Frauenrechtsaktivistinnen vor Ort berichten von Entführungen, Zwangsverheiratungen, Kinderehen und Vergewaltigungen. Faktisch sind Frauen derzeit aus dem öffentlichen Leben verbannt.
Wie hat sich die Situation für Juristinnen in Afghanistan durch die Machtübernahme der Taliban geändert?
Neben den bereits genannten Einschränkungen haben die Taliban in den vergangenen Monaten den Frauen den Zugang zu Universitäten und die Arbeit für Nichtregierungsorganisationen sowie für die Vereinten Nationen verboten. Diese Regelungen treffen auch die Juristinnen in Afghanistan, die zuvor im Parlament oder sonstigen Institutionen tätig waren. Durch meine Kontakte vor Ort habe ich mitbekommen, dass es zwar Frauen gibt, die im „Hintergrund“ weiterhin Tätigkeiten nachgehen oder es zumindest versuchen. Aber diese mutigen Frauen riskieren damit ihr Leben.
Was wünschen Sie sich für Afghanistan?
Ich wünsche mir, dass die Menschen in Afghanistan endlich in Frieden leben können und die Kriege ein Ende finden. Auch die Menschen in Afghanistan haben ein Recht auf ein sicheres Leben, für uns in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Die Menschenwürde von jedem Menschen ist unantastbar, unabhängig davon, wo jemand ursprünglich herkommt oder wo er sich befindet. Die Kinder sollen wieder träumen können und Kinder sein dürfen, mit allen Rechten, die für uns selbstredend dazugehören.
Was wünschen Sie sich von Ihren Mitmenschen in Deutschland und der deutschen Politik in Bezug auf die Situation in Afghanistan?
Menschlichkeit und Empathie von unseren Mitmenschen, sind für mich hier die Worte, die mir direkt einfallen. Wir sollten es zu schätzen wissen, dass wir in einem Rechtsstaat leben und hier Mitbestimmung und Meinungsfreiheit als hohe Güter geachtet werden. Die systematische und sozioökonomische Ausgrenzung von Frauen und Mädchen nimmt immer weiter zu. Auf politischer Ebene wünsche ich mir, dass Afghanistan nicht in Vergessenheit gerät. Afghanistan wird auch 2023 das Land mit der größten humanitären Krise der Welt sein. 28 Millionen Menschen benötigen Hilfe und sechs Millionen sind von Hunger bedroht.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Die Juristin Prof.'in Dr. Ute Sacksofsky inspirierte mich insbesondere während meines Studiums mit ihrem Werdegang und ihrer sympathischen und humorvollen Art.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Hannover / Berlin, 22. September 2023. Wida Babakarkhel-Zeifri, LL.M. hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Anna Isfort.
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